Skalierung: deutlich mehr als eine Standortbestimmung
Der wahre Nutzen von Skalen in der systemischen Arbeit besteht darin, auf theoretische Weise sehr konkrete Ziele und Schritte zur Lösung hin zu erarbeiten.
Durch eine differenzierte Selbstbetrachtung und einer Beobachtung der eigenen Gedankengänge, des inneren Erlebens und der Verhaltensweisen wird detailliert darüber reflektiert:
– was konkret getan wird oder werden kann,
– welchen eigenen Beitrag geleistet wird,
– wie die innere Einstellung dabei ist,
– und natürlich welche Auswirkungen dies auf das Umfeld und bezogen auf sich selbst hat
Bei der Skalierungsfrage muss nicht immer die 10 als Ziel erreicht werden, es geht darum die Selbstwirksamkeit zu erhöhen und das Gefühl nicht der Situation ausgeliefert zu sein sondern Handlungsoptionen zu erkennen.
Im Rahmen eines Methoden-Trainings, das ich vor einigen Monaten gegeben habe, kam es zur Vertiefung der Skalierungsfrage und der Skala als ein Werkzeug in der systemischen Arbeit. Jede*r aus dem Bereich der Beratung kennt Skalierungsfragen: von 0 bzw. von 1 bis 10 oder bis 100 und manchmal auch in Form von Prozentfrage: „Zu wieviel Prozent…“ kommen sie in verschiedenen Phasen der Therapie, des Coaching, der Supervision vor.
Oft werden Skalierungsfrage als eine Art Standorteinschätzung gestellt. „Wo stehen Sie jetzt in Bezug auf…?“
Dabei sollte es aber idealerweise nicht bleiben, denn mit der Skala haben wir ein sehr potentes Werkzeug!
Wenn wir die ganze Bandbreite der Möglichkeiten, die sich mit diesem Tool auftun, nutzen ist es weitaus mehr, als nur eine Antwort auf die zwei Fragen: wo man steht und wo man hin möchte.
Eine Skalierung ermöglicht Unterschiede zu bilden, und zwar solche, die einen Unterschied darstellen. Diese zu erkennen bedeutet sie für die Klient*innen nutzbar zu machen.
„Wo standen Sie, als es Ihnen noch schlechter ging?“
„Wie kommt es, dass Sie nicht mehr da stehen?“ Oder: „…dass Sie nicht bei 0 sondern bei 2 stehen? Was ist bereits vorhanden, dass es nicht eine 0 sein lässt?“ Durch diese Art von Reflexion wird deutlich, dass wahrscheinlich doch schon etwas erreicht wurde, dass Hilfen, Fähigkeiten, Ressourcen möglicherweise vorhanden sind. Vielleicht gibt es auch unbewusste Strategien, die erst dadurch, dass danach geschaut wird zum Vorschein kommen.
Das ist auch der Grund, weshalb Berater*innen gut überlegen sollten, ob sie die 0 oder die 1 als kleinsten Wert vorschlagen. Die 1 setzt voraus, das etwas minimal schon vorhanden ist. 0 heißt NICHTS. Es kann hilfreich sein, von einer 0 auszugehen, wenn deutlich werden soll, dass es auch ein „Nichts“ gäben könnte aber die Person – wenn auch minimal – schon weiter ist und sich nicht ganz unten auf der Skala befindet. Auf dieser Weise, arbeitete auch schon Steve DeShazer, der in der Skalierungsfrage die Möglichkeit sah, Zwischenräume zu erzeugen.
Die Frage nach dem Ziel ist auch unterschiedlich gestaltbar: wir können die 10 als das Ziel betrachten, wir können aber diese auch als eine Ideale Zielvorstellung kennzeichnen und fragen: „Wenn 10 ein Idealziel wäre, das Optimum, die Perfektion (aber wer ist denn schon perfekt?) bei welcher Zahl müssten Sie stehen, damit Sie zufrieden sind?“
Weitere Fragen wie: „Bei welchem Wert standen Sie, als es Ihnen mal besser ging/weniger schlechter ging?“
„Was war da anders?“ dienen der Suche nach Ausnahmen von Problemen und bergen die Gelegenheit Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen, zu finden und zu wiederholen!
Das Allerbeste an der Skalierung ist jedoch: der Nächste kleine Schritt!
„Wenn Sie ein klein wenig weiter wären als heute, wo würden Sie dann stehen? Was ist dann anders?“
„Was tun Sie anders? Wie denken Sie über die Sache?“ (Die Formulierung im Präsenz ist dabei Absicht)
„Wer bemerkt es und woran, dass Sie einen kleinen Schritt voran gekommen sind? Und wer noch?“
„Was nehmen Sie sich also vor?“
Denn es geht um das „Tun“, den eigenen kleinen gestaltbaren Raum zwischen dem Unmöglichen und dem Möglichen…
Verschiedene Aspekte, Unterschiede können auf einer Skala bearbeitet werden je nach Thema und Ziel des Gespräches: Zuversicht, Kompetenz, Qualität, Motivation, Selbst- und Fremdeinschätzung. Besonders effektiv werden Unterschiede auf der Skala eruiert wenn Fragen über persönliche Wahrnehmung, Verhalten und Erleben mit „Zirkuläre Fragen“ verbunden werden.
Skalierungen sind besonders effektiv, wenn sie im Raum durchgeführt werden, denn dann passiert eine Bewegung nach vorne, zurück und wieder in Richtung Ziel, was auf einer ganzheitlichen Ebene ihre Wirkung zeiht.
Sehr gute Alternativen sind natürlich auch Blatt und Stift: eine einfache Linie von Links nach Rechts oder von Unten nach Oben. Oder statt der Linie, zeichne ich persönlich manchmal eine Treppe: denn auf italienisch heißt scala Treppe.
Auch in der Online-Beratung gibt es viele Möglichkeiten wirksam eine Skalierung durchzuführen: auf einem Whiteboard, mit einer Power Point, im Raum vor der Kamera oder indem man zwei Punkte/Gegenstände für die 0 und die 10 festlegt…
Wenn man im wesentlichen die Chancen der Skala erfasst hat, ist es egal, in welchem Format man sie anbietet, es geht darum WIE und WELCHE Fragen gestellt werden, damit die Klient*in einen Unterschied in ihrem Empfinden und Erleben findet. Und wenn eine Klient*in mit den Zahlen nichts anfangen kann? Dann kann die Unterschiedsbildung umschrieben werden z.B. durch „…etwas besser, viel schlechter… am Ziel angekommen sein“.